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Langeweile und Fehler – kreatives Potential

Bei meiner langjährigen Tätigkeit als Klavierlehrer habe ich eine folgenreiche Entdeckung gemacht, die meinen Blick auf vieles verändert hat. Hast du folgendes schon einmal erlebt? Du sitzt im Unterricht und irgendwann kommt ein Moment, an dem du beginnst, dich zu langweilen. Was geschieht an diesem Zeitpunkt? Vielleicht beginnst du zu zeichnen? Gedankenlos irgendwelche Muster auf deine Unterlagen? Oder die Gedanken beginnen zu wandern. Eigentlich ein unglaublich schöner Zustand. Ein kurzer Moment der Entspannung, da kein spannender Input mehr von außen kommt. Ab diesem Moment kann Körper und Geist beginnen, die Richtung umzudrehen – und Output liefern. Das ist die Chance auf Kreativität.

Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich in solchen Momenten versucht, meine Schüler bei Konzentration zu halten. Und ich habe mich geärgert. Heute sehe ich die Chance in diesem Moment. Ich entscheide individuell, ob es sich lohnt, über dieses kurze Tief zu pushen und weiter zu üben, um die nächste Stufe zu erklimmen. Oder ob ich sie lieber Blödsinn spielen und ihre Kreativität anzapfen lasse. Denn ab diesem Moment beginnt die spannende Phase der Kreativität.

Manchmal beginnt der Schüler auch, zu diesem Zeitpunkt wieder mehr Fehler zu spielen und seine Leistung wird theoretisch „schlechter“. Aber auch hier verbirgt sich meiner Meinung nach eine unglaubliche Chance. Ich fordere ihn dann auf, den gespielten Fehler zu wiederholen und zu hören, was passiert: Auf einnmal wird der Fehler zu etwas Gewohntem – etwas Schönem – etwas Neuem. Der Schüler kann die neue Phrase dann zu einer eigenen Komposition weiter entwickeln oder diesen Fehler als Variation in sein Spiel integrieren. So wird aus einem Fehler und dem Moment der Langeweile etwas Positives und der Schüler verliert die negative Einstellung ihnen gegenüber.

Heute haben wir viele Möglichkeiten des geistigen Inputs. Dies kann natürlich inspirierend sein. Aber irgendwann müssen wir auch in den Moment der Langeweile oder Leere kommen, damit sich unser kreatives Potential entfalten kann. Ansonsten verbleiben wir im Status des ständigen Konsumierens.